Da die Grenzen an den offiziellen Übergängen weiterhin nicht passierbar sind, ist für Karwendeltouren Kreativität und die Beschreitung ungewöhnlicher Routen gefragt. Eine solche ist die Hochkarscharte von Norden (AVF 1074) - schon seit Wochen hat sie sich in meinem Kopf festgesetzt. Vor einer guten Woche sind wir ohne Steigeisen und Pickel zurecht nicht eingestiegen. Heute möchte ich mit Joseph Nägel mit Köpfen machen, um die Route abhaken zu können.
Dabei bin ich so auf dieses Teilstück der Gesamttour fixiert, dass der Rest in der Planung zu kurz kommt, bzw. ich diesen unterschätze. Meine Gedanken sind zu sehr mit der wilden Nordflanke zwischen Raffel- und Hochkarspitze und deren Steilheit, der Routenfindung und den aktuellen Verhältnissen beschäftigt. Schon öfter habe ich erlebt, dass sich Schwierigkeitsangaben (in diesem Fall UIAA II für die Hochkarscharte von Norden) aus meinem alten Karwendelführer von 1956 vor Ort als schwieriger erwiesen (auch in späteren Ausgaben wird die Führe weiterhin so bewertet, der Text ist aber lediglich abgeschrieben und oftmals nicht von den neuen Autoren verifiziert - ein Thema für sich!). Wie viel Schnee liegt noch in der Route?
Ab der Hochkarscharte - sollten wir diese denn erreichen - habe ich nur die vage Vorstellung "irgendwie über den Südgrat der Hochkarspitze ins Großkar und über den Wörner zurück". Diese stellt sich vor Ort als unrealistisch raus. Stattdessen müssen wir den Südgrat der Hochkarspitze tief südlich umgehen, was wir später alles wieder ansteigen, und verlieren uns auf der Suche nach einem alten Jagdsteig immer wieder in heftigem Latschenkampf in teils sehr steilem und brüchigem Gelände.
Heute ist somit landschaftlich, wettertechnisch und auch emotional ein Menge geboten ...
Los geht es wieder am Parkplatz der Seinsalm und über die Aschauer Alm ...
... auf den Jägersteig Richtung Fereinalm.
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Kampenleitenschneid |
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Wörner Nordflanke |
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Rappenklamm-, Steinkar- und Östliche Karwendelspitze |
Ab der Fereinalm geht es auf bezeichnetem Weg Richtung Karwendelhaus ...
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Bäralplsattel |
... in den Hufachboden, wo wir mit Einblick in unsere Route durch die Nordflanke zwischen Hochkar- und Raffelspitze eine Vesperpause machen.
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Die zweite schneegefüllte Rinne von rechts geht es später hoch. |
Nach der Pause geht es auf dem schönen Steig weiter ...
... unter die Wände unter dem Bäralpl ...
... und ab hier im Geröll beim Abzweig des Gjaidsteigs zum Bäralplsattel wieder zurück nach Westen ...
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Fermersbachtal |
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Einstieg Nordwand Raffelspitze (III) |
... bis zu unserem Einstieg.
Über leichten Fels rechts der schneegefüllten Rinne erreichen wir rechterhand das im AVF beschriebene steile Gras.
Wir beschliessen uns weiterhin rechts der Rinne zu halten. Nach dem Gras folgen zunehmend steile Schrofen ...
... und schließlich felsige Aufschwünge (bis III).
Auf Höhe der Schlucht, die von halbrechts in die eigentliche Aufstiegsrinne mündet, bemerken wir, dass die Rinne von unserem Standort ein gutes Stück links unter uns liegt und die Begrenzungswand nicht trivial abzusteigen ist. Wir sind also zuweit in der rechten Begrenzung aufgestiegen. Joseph steigt direkt zu der Stelle, wo sich Schlucht und Rinne treffen runter. Ich ein Stück weiter oben in die Schlucht und in dieser dann wieder runter zu Joseph.
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Von rechts steige ich in die Schlucht runter und in dieser zum Aufnahmestandort. |
Ab hier läßt sich der Schnee nicht mehr umgehen. Wir legen Steigeisen an und nehmen den Pickel zur Hand. Der Schnee ist sehr hart und ohne Eisen definitiv nicht zu begehen. Auch ist die Flanke um einiges steiler als es in der Draufsicht von unten den Anschein hat.
Mit der Ausrüstung geht es problemlos die linke gewundene Rinne mit einer recht steilen Stelle (~60°) aufwärts.
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Direkt über Joseph geht es das Schneefeld zur verdeckten Steilrinne nach oben und im Anschluss ununterbrochen auf Schnee das Schneefeld nach links oben zur Horizontkante weiter. |
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Soiernspitze |
Am Ende des Schneefelds wartet noch eine ausgesetzte Querung (II) nach links ...
... bevor wir über leichte Schrofen ...
... die Hochkarscharte erreichen.
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Raffelspitze mit NW-Grat im Vordergrund |
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Hochkarspitze mit Ostgrat |
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Hochkar |
Über den leichten, aber brüchigen und teils ausgesetzten NW-Grat ...
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Rückblick über den NW-Grat zur Hochkarscharte |
... erreichen wir bald den Gipfel der Raffelspitze.
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Westliches Ende der Karwendelhauptkette |
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Karwendeltal mit den Höchsten des Gebirges |
Trotz Schneegraupel und kaltem Wind genießen wir den Gipfel bei einer Brotzeit und beratschlagen den Weiterweg. Auf den gleichen Weg zurück haben wir beide keine Lust. Der SO-Grat der Raffelspitze verleitet uns auch nicht zu Begeisterungsstürmen. Ein Aufstieg zum Südgrat der Hochkarspitze scheint möglich, aber ein Abstieg jenseits ins Hochkar ist ungewiss. Man müsste im Zweifel über den Gipfel und wir haben bereits über 2.200 Hm in den Beinen.
Auf der Karte von Joseph ist im unteren Hochkar ein Steig eingezeichnet, der nach Westen ins Großkar quert. Ich kenne diesen Steig von meinem letzten Besuch der Raffelspitze, allerdings nur in östliche Richtung.
Über Schneefelder fahren wir ins Hochkar ab ...
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Hochkarscharte |
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Hochkarscharte |
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Unten um den Ansatz des Südgrats wollen wir ins Großkar herum queren. |
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Hochkarspitze |
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Hochkarspitze mit Ostgrat |
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Hochkarspitze Südgrat |
... und steigen immer weiter ...
... und weiter ab ...
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Der Talboden kommt immer näher. |
... bis wir auf Höhe des Fußes des Südgrats endlich unsere Querung nach Westen beginnen.
Den gesuchten Steig finden wir kurzzeitig tatsächlich, verlieren ihn aber sofort wieder. Ich erinnere mich, dass der Steig in östliche Richtung auch öfter für längere Strecken unterbrochen war und wir ihn nur mit viel Sucherei und Glück dann wieder fanden. Dieses Glück ist uns heute - wahrscheinlich aufgrund der fotschreitenden Zeit, unserer Ungeduld und dem Bewußtsein, dass wir alle abgestiegenen Höhenmeter später wieder aufsteigen werden müssen - nicht beschieden. Es folgen ca. 2 h teils wilden Latschenkampfs und Fluchens bevor wir das Großkar erreichen und an seinen westlichen Rand queren.
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Im Großkar: zwischen den Latschenflecken geht es hoch ins obere Großkar. |
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Aufschwung zum oberen Großkar |
Der Aufstieg zum Boden des oberen Großkars im Graupel nimmt nach den Anstrengungen des Latschenkampfs einen beinah meditativen Charakter an.
Nach einer weiteren Stärkung im oberen Großkar queren wir zurück nach Osten, legen die Steigeisen wieder an und steigen auf zur Terasse, die den Einstieg zur Route durch die Südflanke des Wörners markiert. Auf der Terasse steigen wir bei schlechter Sicht und Unkenntnis der Route zunächst zu weit auf, sehen dann weiter unten Steinmännchen und queren über abschüssige, ausgesetzte und brüchige Schrofen mit den Steigeisen dorthin runter. Dies ist für mich der mit Abstand unangenehmste Abschnitt des Tages und mein persönlicher Tiefpunkt.
Danach finden sich glücklicherweise regelmäßig Steinmännchen während man auf einem ausgeprägten Band nach Westen quert. Am Ende des Bands geht es durch eine einfache Rinne ...
... hoch Richtung Grat, wo man nach einem kurzen Ausstiegswandl unvermittelt am Gipfel des Wörners steht.
Runter geht es auf dem bestens markierten und uns beiden bekannten Normalweg des Wörners, auf dem wir mit einem Farbspiel der Extraklasse belohnt werden.
Am Wörnersattel machen wir nochmal eine kurze Pause ...
... bevor wir in der einsetzenden Dunkelheit über den Steig Richtung Fereinalm absteigen, um in der Dunkelheit auf der Versorgungsstraße dieser problemlos zum Auto wandern zu können.
Gehstrecke: 31,75 Km mit 3.250 Hm
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